Andreas Karch, Hockenheim
Der Begriff AID-System (automated insulin delivery) ist momentan in aller Munde. Aber auch das „Do it yourself-System“ – DIY – der Looper Community wird diskutiert. Mir persönlich ist spätestens nach dem Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft im Mai 2021 vieles klarer, anschaulicher und plausibler. Mein Beitrag hier bezieht sich rein auf (m)eine regulatorische Einschätzung.
Sicherlich ist es für viele Diabetes-Fachleute egal, ob man bei den AID-Systemen von Closed Loop, HCL, AHCL oder weiteren kreativen Abkürzungs- und Wortschöpfungen spricht. Wichtig ist es aber, dass man das Thema vom Begriff her vereinheitlicht. Da bietet sich AID eindeutig an. Ansonsten läuft man in Gefahr, bei Kostenträgern und Behörden für Verwirrung zu sorgen. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gut sein. Es ist auch nicht förderlich, wenn Marktteilnehmer in Bezug auf AID-Systeme den Krankenkassen unterschiedliches erzählen und die jeweiligen Algorithmen aus eigener Sicht bewerten. Aktuell sollte es ein gemeinsames Ziel sein, AID-Systeme als Medizinprodukte im Hilfsmittel-Listungsprozess in Deutschland weiter auf den Weg zu bringen. Ich denke, dass rtCGM- und AID-Systeme als zertifizierte und zugelassene Medizinprodukte unbedingt in die Regelversorgung gehören. Das gilt ebenso für Schulungskonzepte im technischen und medizinischen Bereich. Eine kurze technische Einweisung, beispielsweise auch on-line, wird auf Dauer nicht den gewünschten Erfolg und Versorgungseffekt bei den Nutzern bringen. Dafür müssen alle Beteiligten noch etwas tun. Insbesondere sind die Hersteller und die Gesetzgebung gefordert. Wir benötigen Nachweise zur Funktionalität und Sicherheit solcher Medizinprodukte, valide Daten, saubere und transparente Listungsanträge, kompetente Personen aus allen Bereichen und vor allen Dingen eine funktionierende Kommunikation untereinander. Auch müssen die Prozesse insgesamt einfacher werden und vor allem schneller gehen. Die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung nimmt rasant zu.
Dass dies alles nicht so einfach sein wird, zeigen die bisherigen Erfahrungen mit der Eingruppierung von Insulinpumpen im Hilfsmittelverzeichnis, die zumindest teilweise schon dem Begriff AID-Systeme zuzuordnen sind. Alle Produkte sind als Insulinpumpen mit CGM-Schnittstelle gelistet. Eine Krankenkasse kann im Hilfsmittelverzeichnis (noch?) nicht nachlesen was die Pumpen tatsächlich können und die Vorteile für einen Diabetes-Patienten für dessen Therapie erkennen. Das gleiche gilt auch für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Von daher sind es eigentlich bisher „nur“ Insulinpumpen, die CGM-Werte im Display anzeigen und Warnmeldungen abgeben. Eine Unterscheidung der Pumpen wäre auch in Bezug auf einen vorzeitigen Austausch von diesen aus medizinischen Gründen sehr wichtig. Nachfolgend zitiere ich die Auszüge aus dem Hilfsmittelverzeichnis (Stand Juni 2021):
Die t:slim X2™ Insulinpumpe ist mit einer Schnittstelle zur kontinuierlichen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten ausgestattet (rtCGM). Wird die Pumpe mit einem kompatiblen CGM-System genutzt, werden die Sensorglukosewerte direkt an die Pumpe übertragen und am Display angezeigt. Über- oder Unterschreitung von voreingestellten CGM Grenzwerten oder schnelle Änderungen der Glukosewerte werden durch Warnmeldungen von der Pumpe angezeigt.
Die MiniMed 640G 3,0 ml – mg/dl Insulinpumpe, die für die kontinuierliche Abgabe von Insulin mit fest eingestellter oder variabler Abgaberate im Rahmen der Behandlung von Personen mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus vorgesehen ist. Die mobile Insulinpumpe verfügt über ein Reservoir von 3,0 ml und eine integrierte Zusatzfunktion „Bolus-Expert“, welche eine Bestimmung des individuellen Bolus unter Berücksichtigung aktueller, manuell ermittelter Blutzuckerwerte, der Nahrungsaufnahme sowie des aktiven (noch wirkenden) Bolus- Insulins ermöglicht. Die Insulinpumpe ist mit einer zusätzlichen Schnittstelle zur kontinuierlichen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten ausgestattet (rtCGM). Die hierfür erforderlichen Komponenten sind als Zubehör erhältlich und sind nicht im Lieferumfang der Insulinpumpe enthalten.
Das MiniMed 670G System ist für die kontinuierliche Abgabe der basalen Insulindosis (mit einer vom Anwender auswählbaren Rate) und für die Abgabe von Insulin-Boli (in vom Anwender wählbaren Mengen) im Rahmen der Behandlung von Personen ab sieben Jahren mit insulinpflichtigem Typ-1-Diabetes sowie zur kontinuierlichen Überwachung und Trendbestimmung des Glukosespiegels in der Flüssigkeit unter der Haut mittels eines externen rtCGM-Systems vorgesehen.
Das stellt meines Erachtens zunächst die Grundlage dar, um andere, innovativere und technisch weiterentwickelte Produkte zu listen. Bisher gibt es aber noch nicht einmal Einträge zur Unterbrechung der Basalrate oder der automatischen Erhöhung der Basalrate. Da scheint der Weg zu PID, als einem in AID-Systemen viel verwendeten Algorithmus zur Steuerung der Insulinzufuhr, mit „Fuzzy logic“ und MPC-Algorithmen noch sehr weit.
Es wird wichtig sein, dass bei Anträgen zur Kostenübernahme für Pumpen mit automatischer (Bolus) Insulinabgabe die Sicherheitsmechanismen und die Möglichkeit der letztendlichen Selbstbestimmung des Patienten ausreichend beschrieben werden. Ebenso sollte klar herausgestellt werden, dass bei allem Automatismus die Entscheidungshoheit, wie ein System zu funktionieren hat, im Endeffekt beim Diabetologen und dem Patienten liegt. Letztendlich möchte niemand, dass es zu einer Bewertung von AID-Systemen als Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) kommt.
Bei einem AID-System müssen die benötigten Komponenten wie Insulinpumpen mit integriertem Algorithmus und einem kompatiblen rtCGM-Produkt jeweils über ein CE Kennzeichen verfügen und ein Hersteller übernimmt mit einer ausgestellten Konformitätserklärung die Verantwortung dafür, dass diese Medizinprodukte im Zusammenspiel funktionieren. Das gleiche gilt für eine Pumpe, mit einem separaten Algorithmus auf einem Steuergerät und einem rtCGM-System. Ein Algorithmus, der „nur“ über eine App-Steuerung verfügt und die Komponenten verbindet, ist meiner Ansicht nach in Deutschland grundsätzlich noch nicht verordnungs- bzw. erstattungsfähig.
Aber auch hier könnte sich bald etwas tun. Momentan denkt der GKV-Spitzenverband über eine Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses nach. Es ist geplant, dass eine Produktgruppe Diabetes (PG 30) einführt wird. Näheres ist noch nicht bekannt oder abschließend entschieden, aber zumindest findet man in den Gliederungsentwürfen aus März, nochmals modifiziert im Mai 2021, Begriffe wie CGM-abhängige Steuerung, Steuergeräte für Insulinpumpen & CGM-Systeme und externe Steuerungssoftware. Das macht Hoffnung. Eine Unterscheidung zwischen rtCGM und FGM gibt es im neuen Entwurf nicht mehr. Man spricht von schlauchgebundenen Insulinpumpen und Patch-Pumpen. Schade finde ich, dass das Wort „schlauchlos“ fehlt. Aber vielleicht wird ja noch einiges in den Beschreibungen ergänzt. Man darf gespannt sein.
Auf dem DDG-Kongress habe ich viele Symposien zum Thema AID-Systeme besucht. Es gab gute (Studien)-Ergebnisse und Hinweise zu den auf dem deutschen Markt befindlichen Produkten und weiteren, die da gerne noch hinmöchten. Ich bin zuversichtlich, dass es bald „regulatorische Lösungen“ gibt. Ebenso finde ich die Ergebnisse der DIY-Bewegung beeindruckend, unterstützend und richtungsweisend.
Nichtsdestotrotz gibt es in Deutschland mit der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte (MDR), dem deutschen Medizinproduktegesetz (MPG) und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) einen rechtlichen Rahmen, der für alle verbindlich ist. Schon alleine die, durch das CE Kennzeichen festgelegte, Zweckbestimmung für ein Medizinprodukt sollte – u.a. bei der Haftung – zum Nachdenken anregen.
Andreas Karch
DiaTec weekly – August 13, 21
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Mit freundlichen Grüßen
Mit Herrn Karch bin ich der Meinung, daß eine einheitliche Nomenklatur hilfreich wäre, dem Krankenkassen und dem MDK eine Einschätzung zu erleichtern , was die Systeme können und auf welcher Studiengrundlage diese beruht. In der Automobilindustrie haben sich die Dinge schon weitgehend geklärt:Beim automatisierten Fahren bleiben der Fahrer in der Verantwortung, wenn er kurzfristig ins Geschehen eingreifen muß, weil das System Sie dazu auffordert. Beim autonomen Fahren werden ist der Nutzer Passagier, er kann nicht eingreifen und haftet auch nicht mehr bei einem Unfall zahlt die Versicherung trotzdem. Sollte ein technischer Fehler vorliegen, nimmt sie dann den Hersteller in Regress. In Analogie dazu ist beim Diabetes ein Bolus-Rechner, der eine Dosis vorschlägt, eine automatisiertes System, der Nutzer kann diese annehmen oder ausschlagen. Beim klassischen AID bleibt der Nutzer aussen vor: Die Entscheidungen verlaufen im (fünf-)Minutentakt , also im obigen Sinnen autonom. Bei den derzeit „Hybriden Systemen“ geschieht beides: Basalrate autonom und Mahlzeiten-Bolus automatisiert (Nutzer eingebunden). Über die Unterschiede sollte man gründlich nachdenken.
Somit komme zu einer anderen Auffassung.
Im Hilfsmittelverzeichnis sind Gegenstände aufgeführt, welche der Rehabilitation, der Pflege der Kommunikation dienen, wie Prothesen, Rollstühle und Gehhilfen. Gerne auch reine Insulinpumpen, welche vorprogrammiert werden. Systeme , welche Entscheidungen ohne Mithilfe des Patienten oder des Arztes treffen und damit Risiken beinhalten, gehören hier nicht hinein. Man stelle sich vor, ein selbstfahrender Krankenfahrstuhl analog eines autonom fahrendem Automobils würde hier mal so eingereiht. Nicht auszudenken. Wir alle kennen die regulatorischen Hürden hierfür!
Analog einen automatisierten oder autonom fahrenden Fahrzeug, bei dem Unfälle passieren können, sind bei einem AID Hypoglykämien und Hyperglykämien möglich, mit Risiken für Leib und Leben.
IN den USA prüft die FDA solche Systeme gründlich. Bei uns sind gBA und ggf. das IQWIG zuständig und in der Lage Studien zu analysieren. Und zur CE-Markierung: Bereits 2016 haben sich Freckmann, Pleus, Heinemann ·und Koschinsky in ‚Der Diabetologe‘ sehr kritisch zu dem Akkreditierungsverfahren für Medizinprodukte geäußert. Die ‚Benannte Stelle‘ ist nicht unabhängig und die Öffentlichkeit erfährt nicht die Inhalte.
Somit wäre es nur folgerichtig, wenn diese autonomen Algorithmen als Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode NUB zunächst eingestuft würden und für die Öffentlichkeit transparent und kompetent bewertet würden.
Die Listung der MiniMed 770G Insulinpumpe mit Unterbrechung der Basalrate ist seit kurzen im Hilfmittelverzeichnis vorhanden (anders als von Herrn Karch dargestellt). Dies ist wegen des AUTOMODUS somit grenzwertig, was auch dem GKV-Spitzenverband etwas Kopfzerbrechen bereitet. In der Beschreibung findet sich der ‚Batteriefachdeckel‘ und die Funktion ‚Taste klemmt‘, jedoch zum kritischen autonomen ‚Automodus‘ keine Erklärung. Gute Studien liegen vor , eigentlich braucht man wegen eines zu negativem Urteil keine Sorgen machen. Es braucht nur etwas Geduld. Interessant wird es erst, wenn ’nicht-hybride Systeme‘ auch die Mahlzeiten und den Sport übernehmen, was sich die meisten Anwender wünschen, so auch ich als Betroffener.