Telemedizinische Möglichkeiten wie die Videosprechstunde sind durch die Corona-Krise hochaktuell geworden. Diabetes wird gerne als „Datenerkrankung“ mit vielen Möglichkeiten für die Digitalisierung bezeichnet – sind die Niedergelassenen Diabetologen deshalb auf die Krise vorbereitet? 

Dr. Nikolaus Scheper: Ich bin mir zumindest sehr sicher, dass die Diabetologie hier gut aufgestellt ist. Sie führt ja die Diskussion um Digitalisierung – und letztendlich gehört das ja alles zu diesem Themenkreis – schon länger, sie bringt sich über die Fachgesellschaft sogar federführend in die Befüllung der elektronischen Patienten – Akte mit ein. Der Diskurs um die Thematik findet in der gesamten Diabetologie, auch bei den Niedergelassenen, statt – hitzig, auch nicht immer im Konsens, aber er findet statt.

Sind die notwendigen Werkzeuge dafür auf beiden Seiten – Arzt und Patient – bereits vorhanden? 

Was konkret das Angebot der Videosprechstunde angeht: Ja, die Werkzeuge dafür haben sicherlich ganz viele auf Seiten der Praxen schon installiert. Aber das Umsetzen auf Seiten der Patienten ist nicht immer banal. In der momentanen Situation werden wir als diejenigen, die die Sprechstunde mit den Patienten per Video machen möchten, quasi in Haft dafür genommen, dass der Patient auf seiner Seite Hard- und Softwarevoraussetzungen erfüllt. Und da gibt es meines Erachtens doch noch ganz erheblichen Nachholbedarf: Wenn Patienten nicht die aktuellsten Updates für ihren Rechner haben, dann läuft die Videosprechstunden-Software nicht auf dem Rechner. Viele Patienten haben auch keinen Laptop und die Programme laufen nicht alle auf Smartphones. Ich habe selber jetzt mit einer größeren Einrichtung einen Versuch gewagt, bei der der passende Browser zunächst noch heruntergeladen werden musste. Wir versuchen, das mit unseren Patienten im Vorfeld abzuklären, verweisen auch darauf, dass eine aktuelle Betriebssystemversion für den eingesetzten Rechner benötigt wird.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen – spart oder kostet die Videosprechstunde Zeit? 

Das ist alles machbar, aber es kostet einfach unglaublich viel Zeit und Energie, die ich eigentlich viel lieber in die Sprechstunde selbst fließen lassen würde. Wenn Sie mit Ärzten sprechen, die schon länger Videosprechstunden durchführen, bestätigen die diesen hohen Zeitaufwand. Und das kann es auf Dauer nicht sein. Da müssen sich alle noch einmal zusammensetzen – und es müssen Leute dabeisitzen, die Videosprechstunden wirklich machen! Mehrere Kollegen, die aktuell häufiger Videosprechstunden mit Patienten abhalten, berichten auch, dass es bei ihnen immer wieder zu Bild- und/oder Tonabbrüchen kommt und eine geordnete Sprechstunde nicht mehr möglich ist. Mal abgesehen von den genannten Problemen auf Patientenseite lässt sich über die Ursachen dafür zwar nur spekulieren, aber die Qualität der Netzabdeckung in der Fläche scheint dabei eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen. Die schon lange auch von uns Niedergelassenen geäußerte Kritik an den diesbezüglichen strukturellen Defiziten wird nun relevant und zur Realität. Wir Ärzte sind jedenfalls nicht die Bremser der modernen Medien in der Medizin, das besorgt die schlechte Infrastruktur schon selbst!

Beseitigt der unfreiwillige Telemedizin-Feldversuch unbegründete Skepsis oder bestärkt er eher die Zweifler?

Ich bin ganz sicher, dass die Welt nach Corona anders sein wird als vorher. Wir müssen nur achtgeben, dass die guten Dinge, die Corona vorantreibt, nicht das Opfer der schlechten Dinge werden. Gut sind Dinge, die das Thema Digitalisierung vorantreiben, die das Thema Telemedizin vorantreiben, die müssen wir dann weiter bearbeiten. Aber das Thema Datensicherheit und Datenschutz darf nicht in den Hintergrund treten. Ich bin nach wie vor ein vehementer Verfechter, dass die Datensicherheit von Patientendaten in unseren Händen maximal gewährleistet sein muss. Momentan sieht man da zum Teil zwar praktikable Lösungen, die aber mit Datenschutz nicht so viel zu tun haben. Das mag in so einer Phase vorübergehend auch in Ordnung sein; aber man muss aufpassen, dass man da das Maß nicht verliert – und man muss irgendwann auch wieder zurück! 

(Vorabveröffentlichung – das ganze Interview finden Sie in der nächsten Ausgabe von ´DiabetesNews`, die am 18.5.2020 erscheint.)

DiaTec weekly – Mai 8, 20