Tagtäglich gehen deshalb Menschen mit Diabetes, Diabetologen, Ärzte, Diabetesberater und -assistenten und viele weitere Berufsgruppen mit Medizinprodukten um. Es ist wunderbar, wenn die Insulinpumpe, das CGM System, der Insulin-Pen, das Blutzuckermessgerät, die Pen-Nadel, die Lanzette oder die App, die verordnet wurden, einwandfrei funktionieren und meistens ist das auch so. Doch immer wieder kommt es vor, dass die Stoffwechseleinstellung entgleist und es werden alle Gründe, die auf der Hand liegen, überprüft: Wurde das Medikament eingenommen? Das Insulin gespritzt? In der richtigen Dosierung? In funktionierende Injektionsstellen? Wurden Kohlenhydrate falsch eingeschätzt? Haben sich ein Infekt oder Stress eingestellt? Wurde sich weniger bewegt oder sogar mehr? Die Liste ließe sich beliebig lange fortführen. Viele Menschen mit Diabetes und auch viele Behandler suchen die Schuld zunächst bei solchen Gründen oder bei sich selbst. Erst wenn man so nicht weiterkommt, werden die Medizinprodukte überprüft. Nicht immer ist der Riss im Gehäusematerial direkt sichtbar, auch abgebrochene Stellen im Material der Geräte oder beim Zubehör wie Katheter und Pens kommen vor, hinzu kommen Softwareprobleme, z.B. fehlende Alarme oder Datensalat in der Softwareauswertung.
Das erste Vorkommnis dieser Art wurde mir vor über 25 Jahren von meiner geschätzten Kollegin Ulrike Thurm erzählt: Es ging dabei um den Druckausgleich bei Überwindung großer Höhen, wie z.B. mit Bergbahn auf einen Berg fahren. Hier fehlte die Druckausgleichstelle in der Pumpe – und eine gesamte Reservoir-Füllung Insulin landete auf einen Schlag im Körper des Pumpenträgers.
Solange solche Fälle glimpflich ausgehen, wird ihnen auch keine große Beachtung geschenkt. Entstehen aber gesundheitliche Verschlechterungen – im schlimmsten Fall bis zum Tod – sind sie sehr ernst zu nehmen und müssen unbedingt an die übergeordnete Stelle in Deutschland, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), berichtet werden.
Wenn das das BfArM Meldungen erhält von Anwendern (z. B. Ärzten, Kliniken) oder den Herstellern der Medizinprodukte, führt man dort eine Risikobewertung des Vorkommnisses durch. Kommt das BfArM zu dem Ergebnis, dass aus Sicherheitsgründen Änderungen am Produkt erforderlich sind und veranlasst der Hersteller dies nicht bereits gemäß seiner gesetzlichen eigenen Verantwortung, spricht es eine Empfehlung an den Hersteller bzw. die für die Überwachung von Medizinprodukten zuständige Landesbehörde aus. Bei den letztgenannten Stellen liegen die gesetzlichen Möglichkeiten, um diese Empfehlungen nötigenfalls anzuordnen und ihre Umsetzung zu überwachen.
Eine Meldung beim BfArM zu tätigen ist deshalb eine sinnvolle, absolut notwendige und verpflichtende Aufgabe jedes in der Diabetologie arbeitenden Berufes, der die Medizinprodukte den Menschen mit Diabetes einweist, sie damit behandelt und betreut. Die Meldeverpflichtung besteht ebenfalls für professionelle Betreiber und Anwender (z. B. Ärzte und Zahnärzte) und Personen, die beruflich oder gewerblich oder in Erfüllung gesetzlicher Aufgaben oder Verpflichtungen Medizinprodukte zur Eigenanwendung an den Endanwender abgeben.
Vorkommnisse sind Funktionsstörungen, Ausfälle oder Änderungen der Merkmale oder der Leistung oder Unsachgemäßheiten der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung eines Medizinproduktes, die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt haben, geführt haben könnten oder führen könnten.
Alleine von 01.07 bis 07.07.2020 wurden 10 dringende Sicherheitshinweise zu Medizinprodukten veröffentlicht, darunter befand sich aber kein diabetologisches Medizinprodukt. Die BfArM Seite bietet eine Filtersuch nach bestimmten Medizingruppen oder Medizinprodukten. Regelmäßig auf die Internetseite zu sehen macht Sinn oder den Newsletter des BfArM zu abonnieren.
Eine Meldung geht über die Internetseite des BfArm
- Medizinprodukte
- Risikoerfassung und -bewertung
- Risiken melden
- Formblätter für die Meldung von Vorkommnissen und Rückrufen
- Formulare
- Vorkommnisse: Anwender, Betreiber und sonstige Inverkehrbringer als online, offline oder PDF Version auswählbar
Im Onlineformular werden wichtige Punkte abgefragt, die eingetragen werden müssen:
- Meldername, Adresse, Kontaktperson, Telefon und Emailadresse
- Herstellername, Adresse
- Handelsname des Medizinproduktes. (Günstig, aber nicht zwingend notwendig für die Meldung ist es, die weiteren Informationen zum Produkt parat zu haben. Produktart, Model/Katalognummer, Seriennummer, Chargennummer, Ort des Vorkommnisses)
- Beschreibung des Ereignisses
Dieser Vorgang dauert ca. 5 Minuten. Wird das Vorkommnis vom Patienten oder Behandler an die Firmenhotline gemeldet, wird nach den Kriterien für die Hersteller im Medizinproduktegesetz ebenso vom Hersteller eine Meldung an das BfArM getätigt.
Der Anwender/Betreiber (sprich: Arzt oder Berater) ist gesetzlich verpflichtet zu melden. Kommt die Meldung von beiden Seiten Hersteller und Anwender/Betreiber, ist die Chance für Ursachensuche, Behebung oder Rückruf um Schaden vom Anwender abzuwenden gegeben, größer.
Das BfArM prüft und nimmt ggf. Kontakt zu den Meldern auf, Rückfragen habe ich persönlich aber noch nicht erlebt. Nach Meinung der Medizinproduktebeauftragen in der Klinik sollen auch nur dann Foto’s oder weitere Unterlagen weitergeleitet werden, wenn das BfArM explizit danach fragt.
Eine Rückmeldung bzw. Abschlussmeldung vom BfArM erhält man normalerweise etwa ein Jahr (!) nach Meldung des Vorkommnisses, selten bereits nach 6 Monaten.
Wenn aber mehr Medizinprodukte und künstliche Intelligenz in der Diabetologie Einzug halten, wird der reibungslose Einsatz der Produkte immer wichtiger. Lassen Sie uns deshalb alle unseren Beitrag leisten und unsere gesetzlichen Pflichten erfüllen! Letztlich tun Sie es für die Lebensqualität und Sicherheit Ihrer anvertrauten Menschen mit Diabetes und ersparen sich unnötige Arbeit.
Rosalie Lohr, München
DiaTec weekly – August 28, 20
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Mit freundlichen Grüßen
Sehr informativer Artikel Rosalie,
das hört sich alles recht strukturiert an, wobei die Antwortzeiten zu lange sind. Stelle mir das aber auch nicht einfach vor, das Know-How beim BfArM aufzubauen, bzw. permanent zu erhalten.
Richtig schwierig wird es, wenn immer mehr Funktionalität bei Medizinprodukten als Applikationssoftware in auf einem Standardgerät lauft (App auf Android oder iOS). Denn zentrale Komponenten (Transportlayer, Kommunikationsprotokolle) sind Fremdsoftware und können jederzeit vom Hersteller des Betriebssystems (Google,Apple) oder sogar vom Hersteller des Geräts (z.B. Samung, Huawei) geändert werden.
Erst kürzlich verloren wir von einem auf den anderen Moment die Follower Funktionalität des Dexcom G6 Systems. Es war ein Software-Bug – eine Neuinstallation der Dexcom G6 Software war „die Lösung“. Das ganze Fehlerverhalten wurde recht gut dokumentiert, der Fehlerauslöser war eventuell eine fehlerhaftes Verhalten einer anderen Middleware-Komponente des Betriebssystems.
Wenn zukünftig aber nicht nur Monitoring, sondern auch Steuerungskomponenten als Applikationssoftware auf einem General-Purpose Betriebssystem realisiert werden, sehe ich schwarz. Entweder bringen die Betriebssystemhersteller endlich eine LTS Variante (Long Term Support, analog Desktop Betriebssytemen) heraus, in der in einem Rahmen von 5-10 Jahren das System stabil gehalten wird (nur Security Patches erlaubt), oder es kann keine ordentliches, stabiles oder gar zertifizierbares Medizinprodukt darauf geben.
Ich sehe auch keine Chance, dass das BfArM dort einen Fehlerreport in irgendeiner Art und Weise beurteilen kann (von zeitnah ganz zu schweigen).
Interessant, dass Wenn das das BfArM Meldungenvon Anwendern oder den Herstellern der Medizinprodukte erhält, man dort eine Risikobewertung des Vorkommnisses durch führt. Mithilfe der Lims-Software haben wir alle Tools im Überblick. Auch eines zur Meldung ist vorhanden.
Im 3. Absatz beschreiben Sie, wann eine Vorkommnismeldung gemacht werden muss. Sie machen hier leider einen Fehler. Die gesetzlichen Regelungen sehen auch vor, dass gemeldet werden muss, wenn eine Folge wie Tod, schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands oder eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit eingetreten ist oder hätte eingetreten sein können oder eintreten könnte. Es muss immer auch die Möglichkeitsform betrachtet werden. Der im Absatz erwähnte Vorfalls ist nach der Definition in Artikel 2 Nr. 65 MDR ein schwerwiegendes Vorkommnis auch wenn im konkreten Fall alles glimpflich ablief.