Im Idealfall würde man „einfach“ ein Insulindepot unter die Haut „implantieren“ und je nach vorherrschender Glucosekonzentration im Körper würde das Insulin aus diesem Depot bedarfsgerecht freigesetzt. Eine faszinierende Vorstellung und Entwicklungen zu solchen „Smart Insulinen“ gibt es seit einer Reihe von Jahren, wie auch eine lange Liste von Patenten belegt. Allerdings ist noch nicht abzusehen, wann und ob überhaupt jemals ein praktisch einsetzbares Produkt zur Verfügung stehen wird, denn die Hürden sind hoch.
Im Vergleich zu einer technischen Lösung soll die Nutzung wenig oder auch gar keine Aufmerksamkeit vom Nutzer verlangen, wobei das Ergebnis idealerweise eine optimale Glucosekontrolle ist, ohne Gefahr von Hypoglykämien. Auch hierbei muss es ein Sensors die Glucosewerte im Körper überwachen, um in Relation dazu das Insulin aus einer chemischen Bindung freizusetzen, dabei wird hierbei eben kein Medizinprodukt eingesetzt.
In einer angesehenen pharmakologischen Fachzeitschrift wurde nun ein Review-Artikel zu diesem Ansatz von Zhen Gu und Kollegen publiziert (Wang Z et al. Developing insulin delivery devices with glucose responsiveness; Trends in Pharmacological Sciences, doi.org/10.1016/j.tips.11.002; 2020). Der Artikel gibt einen guten Überblick zum Stand der Entwicklung bei den verschiedenen Ansätzen zu solchen Smart Insulinen.
Es gibt verschiedene Substanzen, die als „Glucose-Sensor“ genutzt werden können, weil sie eine spezifische Bindung von Glucose aufweisen. Diese lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen: Glucoseoxidase (GOx)-basierte Systeme, glucosebindende Proteine und Phenylboronsäure-basierte (PBO) Systeme.
GOx-basierte Messungen kommen ja auch bei Blutzuckerteststreifen und CGM-Systemen zum Einsatz und haben den Vorteil einer hochspezifischen Glucosebindung. Allerdings entsteht bei der Reaktion gewebetoxisches H2O2. Weiterhin hängt die Aktivität von GOx von Änderungen in den Umgebungsbedingungen ab und das Enzym wird im Laufe der Zeit degradiert, was zu einer Abnahme der Glucosesensitivität und damit der Insulinfreisetzung führt.
Bei vielen Ansätzen werden Lectine verwendet, eine Familie von Kohlenhydrat-bindenden Proteinen. Diese natürlich vorkommenden Substanzen, wie z.B. Concanavalin A (ConA, einem pflanzenbasierten Lectin), binden Glucose reversibel. Bei den verschiedenen Ansätzen, die hier verfolgt werden, wird ConA üblicherweise immobilisiert in einer Matrix, die auch Insulinmoleküle enthält. Wenn Glucose an ConA bindet, führt dies zur Freisetzung des Insulins – leider aber auch von ConA. Allerdings weist ConA eine gewisse Cancerogenität auf und die Glucoseempfindlichkeit des Systems nimmt im Laufe der Zeit ab. Durch die Entwicklung von synthetischen Proteinen wird versucht, die Glucoseempfindlichkeit zu steigern und gleichzeitig andere Probleme zu vermeiden.
PBO-basierte Systeme wiederum weisen eine Reihe von Vorteilen auf, so sind beispielsweise zahlreiche chemische Varianten sowie komplexe Matrixstrukturen möglich, was gewisse Anpassungen bei der Insulinfreisetzung ermöglicht. Allerdings ist die Glucosebindungsspezifität nicht besonders hoch, was dazu führt, dass andere Kohlenhydrate auch gebunden werden. Auch bei diesem Ansatz gilt es Sicherheitsaspekte hinsichtlich der Toxizität zu beachten.
Bei einem ganz anderen innovativen Ansatz wird das Insulin selber „glucose-empfindlich“ gemacht. Dies soll zu einer höheren Sicherheit führen und z.B. das Risiko von Hypoglykämien bei einer falsch-zu hohen Freisetzung von Insulin reduzieren. Auf einem solchen Ansatz basiert die bislang einzige Testung in einer klinischen Studie aus dem Jahr 2014, das MK-2640 von Merck. Die Effektivität dabei war allerdings so unbefriedigend, dass die Entwicklung 2016 eingestellt wurde. Aktuell gibt es dennoch eine ganze Reihe von Entwicklungen, die ebenfalls in diese Richtung gehen.
Fazit: So attraktiv die Idee von „Smart Insulinen“ auch ist, die Hürden sind hoch und es gibt einige lange Liste von zu klärenden Fragen (wie z.B. mangelnde Biokompatibilität). Nur wenn diese geklärt werden können, wird es in der Praxis einsetzbare Produkt geben. Ein Zwischenweg dahin könnten wiederum Medizinprodukte sein, die mit Hilfe von ganz feinen Nadeln in der Haut die Glucosekonzentration messen und die in diesen fixierte Insulinmolekülen nach Bedarf freisetzen.
DiaTec weekly – Januar 15, 21
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