So lautete die Frage der dritten und der für dieses Jahr vorerst letzten dia:cussion am 25.11.2020. Bevor die Diskussion zwischen den beiden Kontrahenten begann, wurde eine Zuhörer-Meinung eingeholt: 73% finden die Videosprechstunde gut, 2% lehnen sie ab und 15% haben sich noch keine Meinung gebildet.
Die beiden Diskutanten waren Oliver Schubert-Olesen aus Buxtehude (Pro) und Andreas Lueg aus Hameln (Contra). Beide sind Inhaber großer Diabetes-Praxen, technik-affin und bieten bereits Videosprechstunden an, haben aber unterschiedliche Erfahrungen gemacht und damit auch unterschiedliche Haltungen dazu entwickelt: Oliver Schubert-Olesen hat das Angebot für Videosprechstunden bereits seit 2019 in seinem Portfolio und sieht die wesentlichen Vorteile darin, Zeit und Wege zu sparen (für seine Patienten) und Platz im Wartezimmer zu schaffen (für die Praxis) Seiner Meinung nach hat sich die Videosprechstunde inzwischen bewährt. Auch Andreas Lueg hat bereits früh während der Corona-Krise damit begonnen, sieht aber das größte Dilemma darin, dass fast die Hälfte seiner Patienten die Videosprechstunde nicht als „committeten Termin“ betrachten und deshalb nicht erscheinen, im Gegensatz zu Präsenzterminen. Das wiederum konnte Oliver Schubert nicht bestätigen. Fast alle seine Patienten sitzen pünktlich vor dem Bildschirm – und die Rückmeldung der Patienten: Gerne wieder und auch gerne öfter. Auf die Frage, welche Patientengruppen das Angebot eher nutzen, sagte Schubert, das würde quer durch die Bank gehen: Sowohl junge und technik-begeisterte Typ-1er nutzen das Angebot, aber auch viele ältere Patienten mit Typ 2-Diabetes – seine älteste Patientin schaffte es mit Mitte 80 und einem Tablet, das die Enkelin eingerichtet hatte, teilzunehmen. Im Gegensatz zu einem Telefonat kann er in der Video-Sprechstunde seinen Patienten sehen und z.B. anhand seines Gesichtsausdrucks zusätzliche Informationen erhalten. Schubert ist sicher, dass die Corona-Pandemie die niedergelassene Diabetologie sozusagen in die Telemedizin „hineingeschubst“ hat. Warum gibt es also nach wie vor Ressentiments dagegen, insbesondere dann, wenn Patienten dies auch wollen und in Anspruch nehmen? Gerade die Sprechende Medizin – und das ist die Diabetologie in ganz vielen Bereichen, wird besonders davon profitieren. Abschließend gab er noch zu bedenken: „Wenn wir uns als Ärzte dagegen sträuben, wer wird das Ganze dann übernehmen?“ Oliver Schubert ist sicher, dass mittelfristig das Angebot der Videosprechstunde etwa ein Drittel der Termine ausmachen wird.
Andreas Lueg übernahm anschließend den Contra-Part. Ganz nett, aber auch nicht mehr, so lautete sein Tenor und seiner Meinung nach ist und bleibt die Videosprechstunde ein Spartenangebot, denn ernsthaft erkrankte Menschen wünschen sich den persönlichen Kontakt zu ihrem Arzt. Außerdem warf er die Frage auf, wem man die Videosprechstunde eigentlich anbieten solle – jedem Patienten? Nur denen, die weit anreisen müssen? Oder Menschen im Arbeitsprozess, denen die Zeit für den Arztbesuch fehlt? Seine 10-minütige Präsentation beschäftigte sich mit dem, was fehlt, wenn man einen Patienten nicht vor sich hat: Körpersprache und Mimik, äußerliches Erscheinungsbild und Geruch, Haptik und Berührungen, alles Faktoren, die neben dem gesprochenen Wort die Kommunikation erheblich beeinflussen. Ärztliches Handeln muss von Empathie begleitet sein. Hinzu kommen mögliche technische Probleme, die den Kommunikationsfluss behindern, ein technischer Time-lag z.B. kann ein intensives Gespräch auch massiv behindern. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung geht von immerhin 56%, also mehr als die Hälfte der befragten Patienten aus, die sagen, dass sie lieber keine Videosprechstunde möchten (die Studie stammt allerdings aus 2015). Dies entspricht auch seinen Erfahrungen, kaum war die Pandemie im Frühjahr ein wenig abgeebbt, lies auch das Interesse an der Videosprechstunde nach. Last but not least hat die Pandemie eines ganz deutlich gezeigt: Menschen brauchen Nähe und das gilt auch für den Doktor. Die Videosprechstunde sollte deshalb nach Meinung von Andreas Lueg nur ein Werkzeug im gesamten Werkzeugkasten sein und nicht der Hype, der zurzeit darum gemacht wird.
Fazit: Innerhalb weniger Jahre sind wir alle sehr viel digitaler geworden und der Auslöser dafür war sicherlich das Smartphone. Auch außerhalb von Pandemiezeiten und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr ist die Verkehrslage in Deutschland mittlerweile so brisant, dass viele Patienten es sicherlich bevorzugen, nicht das Haus verlassen zu müssen, um einfach überall hinzufahren. Die politischen Weichen sind also gestellt, trotzdem ist die Frage, ob sich die Videosprechstunde perspektivisch etablieren kann. Das direkte Arzt-Patienten-Gespräch bleibt sicherlich der Goldstandard!
DiaTec weekly – Dezember 11, 20
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Zitat aus Ihrem Artikel: „[… … ] …beschäftigte sich mit dem, was fehlt, wenn man einen Patienten nicht vor sich hat: Körpersprache und Mimik, äußerliches Erscheinungsbild und Geruch, Haptik und Berührungen, alles Faktoren, die neben dem gesprochenen Wort die Kommunikation erheblich beeinflussen. Ärztliches Handeln muss von Empathie begleitet sein. “
Der einzige Arzt, dem ich noch lang genug gegenübersitze 1 zu 1 und der sich somit – wenn er wollte – ein Gesamtbild von mir machen kann ist doch der Zahnarzt. Alle anderen Arztbesuche beschränken sich doch zeitlich höchstens auf ein 5 Min. Gespräch, wovon die meiste Zeit auch noch der Arzt in Anspruch nimmt. Empathie ist da kostenmäßig nicht eingeplant, da nicht abrechenbar. So gesehen sticht das oben zitierte Argument nicht gegen die Videosprechstunde.