von Andreas Karch, Gaby Faber-Heinemann, Lutz Heinemann
Abbott kündigt in einem Informationsschreiben an seine Kunden ein Patentverfahren mit einem Mitbewerber an, der noch in diesem Monat beginnen soll und bietet bereits zum jetzigen Zeitpunkt seinen Kunden/Nutzern an, den Sensoren-Bedarf für die nächsten Monate zu liefern, um die Versorgung sicherzustellen. Mit den Krankenkassen sei diese Vorablieferung abgestimmt worden, bislang gibt es allerdings dazu von keiner Kasse eine bestätigende Aussage. Die Gerüchteküche brodelt und im Netz finden sich widersprüchliche Quellen und Kommentare, die eher zum Sokrates-Zitat passen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ Es wird also viel gemutmaßt und mit persönlichen Einschätzungen unterfüttert, gleichzeitig gibt wenig sachliche Informationen. Selbstverständlich will und darf Abbott seine Rechtsposition vor Gericht umfänglich verteidigen, trotzdem wirft das Prozedere einige Fragen auf. Hier unser aktueller Kenntnisstand:
Die beiden Mitbewerber Dexcom und Abbott agieren im Bereich CGM-Systeme als globale Unternehmen und unterstützen erfolgreich mit ihren Medizinprodukten viele Patienten*Innen bei ihrem Diabetes Management. Gegenseitige Patentrechtsklagen von Herstellern aus dem Bereich von CGM-Systemen gibt es zwischen den Parteien schon seit vielen Jahren, scheinbar auch mit wechselnden Erfolgen. Auch scheint es nach einem Vergleich vor einigen Jahren zunächst eine Art Abkommen mit einer Friedenspflicht gegeben zu haben, welches aber Mitte 2021 ausgelaufen ist. Seitdem haben die Juristen das Wort.
Im Jahre 2021 wurden vor verschiedenen Gerichten in den USA, Großbritannien und Deutschland Anträge, Klagen und Widerklagen eingereicht und es gab Schnellanträge und Widerrufs-Anträge. „Wann und Wie“ letztendlich eine endgültige und rechtssichere Entscheidung fallen wird, obliegt der Gerichtsbarkeit. In Deutschland gibt es aktuell offenbar mehrere laufende Patentstreitverfahren vor dem Landgericht Mannheim: sowohl „Dexcom vs. Abbott“ als auch „Abbott vs. Dexcom“. Mit anderen Worten, beide Firmen verklagen sich gegenseitig. Das Landgericht Mannheim hat nun aus organisatorischen Gründen verfügt, dass ein für März angesetzter Termin in den September verschoben wird. Ein weiterer Verhandlungstermin soll im April 2022 stattfinden.
Abbott scheint nun ein Interesse zu haben, seine Nutzer in Deutschland möglichst rasch von Libre 2 auf Libre 3 umzustellen. Es ist allerdings unklar, ob diese Generation des iscCGM-Systems dann besser vor Patentstreitigkeiten geschützt ist, von einschlägigen Fachleuten wird dies bezweifelt. Auch weitere Punkte sind zumindest fraglich: Die Krankenkassen sind laut Infoschreiben in einem Abstimmungsprozess involviert – gilt dies für alle Kassen? Werden Rezepte im Vorfeld ausgestellt, oder akzeptiert die Kasse die Lieferungen aufgrund der bestehenden Kostenübernahmen und Genehmigungen? Funktionieren im Nachgang auch die Abrechnungen? Funktioniert das alles nur bei den gesetzlichen oder auch bei den privaten Krankenversicherungsunternehmen?
Ob alle Krankenkassen oder nur einige und wenn ja, welche, diesem Prozedere zugestimmt haben, eine gewisse Vorratshaltung zu betreiben, geht aus dem Infoschreiben nicht eindeutig hervor. Auch hat ein Diabetes-Patient dann statt eines Quartalsbedarfs einen deutlich längeren Bevorratungszeitraum zur Verfügung. Was aber, wenn es das Produkt irgendwann doch nicht mehr geben sollte, werden defekte Sensoren dann immer noch abgetauscht? Außerdem dürfte dabei auch das Thema Verfallsdaten eine Rolle spielen. Hier sind aus einer eher allgemeinen Position noch weitere Gedanken:
- Werden hier Patienten, Ärzte und Krankenkassen zum Spielball der Industrie?
- Welche Rolle spielt die Sicherstellung in der Versorgung von Menschen mit Diabetes neben Marktanteilen, Preisverhandlungen und Ressourcenallokation?
- Kann oder muss nicht auch ein gut strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis dem Tribut zollen?
- Momentan sprechen wir über Medizinprodukte, die „Stand alone“ eingesetzt werden. Was passiert aber bei einer solchen Konstellation, wenn die CGM-Systeme über einen Algorithmus eine Insulinpumpe mit notwendigen Daten für eine automatische Insulindosierung versorgen (= AID-Systeme)?
- Was passiert, wenn die notwendigen Produkte nicht mehr geliefert werden dürfen oder können? Allein aus diesen Überlegungen heraus sollten Medizinprodukte wie in einer Art Baukastensystem jederzeit austauschbar sein.
- Dies würde aber auch bedeuten, dass die Diabetesprodukte, wie z.B. Steuerungssoftware, Insulinpumpen und auch Glukosesensoren im Hilfsmittelverzeichnis nicht als komplettes System gelistet werden, sondern die Einzelprodukte in der jeweiligen Kategorie.
Es gibt also noch viele offene Fragen und weitere werden sich auch erst im Tagesgeschäft ergeben.
Fazit: Patentstreitigkeiten zwischen zwei Unternehmen sind insbesondere dann, wenn diese beiderseits geführt werden, immer langwierige Verfahren, welches die Patienten auf jeden Fall verunsichert. Alle Beteiligten haben deutlich mehr Arbeit, der Informationsbedarf ist hoch und kann zumindest im Moment nicht vollumfänglich abgedeckt werden. Es bleibt zu hoffen, dass man sich auf Dauer nicht auf bestimmten Märkten gegenseitig blockiert und die Versorgung der Patienten nicht mehr flächendeckend sichergestellt ist. Aktuell scheint es so zu sein, dass es keinen (zeitlichen) Druck gibt etwas zu tun, es gibt die Zeit für einen wie immer gearteten geordneten Übergang von einem System zu einem anderen. Angestrebt wird ja von der FDA, dass alle Produkte der Diabetes-Technologie kompatibel sind und die PatientInnen gemeinsam mit dem Diabetologen über eine medizinisch sinnvolle Kombination entscheiden können. Aktuell ist dies bei uns in Deutschland und der gesamten EU aber wohl nur ein Traum…
Wir haben beiden Firmen kontaktiert. Von Dexcom gibt es ein offizielles Statement an die GKVen hier, und auch von Abbott haben wir ein Statement erhalten:
„In Deutschland sind mehrere Gerichtsverfahren zwischen Abbott und einem Wettbewerber anhängig. Der Wettbewerber hat diese Verfahren eingeleitet und wir haben, als Reaktion darauf, unsere eigenen Verfahren eingereicht. Während die März-Anhörung auf dem September verschoben wurde, sind Anhörungen für beide Unternehmen für Anfang April angesetzt, und Urteile könnten bereits Ende April fallen.
Die Produkte beider Unternehmen sind strittig und der Ausgang der Verfahren kann sich auf die Versorgung in Deutschland auswirken. Obwohl wir der Meinung sind, dass die Patente des Wettbewerbers ungültig und die Fälle unbegründet sind, ist es unsere erste und höchste Priorität, sicherzustellen, dass die Menschen weiterhin Zugang zu FreeStyle Libre-Produkten haben.
Zu diesem Zweck haben wir einen umfassenden Plan erstellt, der es Nutzer:innen ermöglicht, auf unsere neueste Technologie, das FreeStyle Libre 3-System, umzusteigen. Wir sind zuversichtlich, dass dieser Übergangsplan die richtige Wahl für Patient:innen ist, da er ihnen weiterhin Zugang zu unseren FreeStyle Libre-Produkten gewährt und ihnen unsere neueste Technologie zur Verfügung stellt.“
Soweit die beiden Statements, wir haben nur nicht ganz verstanden, wieso ein Urteil zu diesem Patentstreit bereits im April fallen kann, wenn das Verfahren doch auf September verschoben wurde.
DiaTec weekly – März 11, 22
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Mit freundlichen Grüßen
Europa ist nicht nur abhängig von Gaslieferungen.
Der Artikel macht deutlich, dass Abhängigkeiten auch zu Engpässen im Gesundheitssystem führen können und bei Diabetes ist es besonders schmerzhaft, da wir sehr viele Diabetiker haben und nur wenige Alternativen.
Daher wünsche ich mir einen europäischen CGM.
Danke.
Aber schreibt doch nicht „Verfallsdatum“, wenn ein „verbrauchen bis“ Datum gemeint ist.
Zeit für offene gemeinsame Standards wie bei Netzteilen.
Es is unerträglich das Leute viel Zeit für Analyse von Komponenten aufwenden müssen um Interaktion sicher zu stellen.
Es ist unmöglich wie Abbott an den Ärzten und Patienten vorbei uns mit neuen Sensoren beliefert.
Das hat ja schon Tradition. Ursprünglich wollte ich einmal für drei Monate testen, so war auch das Rezept ausgestellt, abgesprochen mit meinem behandelnden Arzt.
Abbott ist dann in Verhandlung mit meiner Kasse getreten und hat ein Abkommen für ein Jahr abgeschlossen und mich ohne Kommentar entsprechend beliefert.
Auf Nachfrage antwortete meine Kasse, dass es so weniger Verwaltungsaufwand sei.
Wer hat denn hier noch den Hut auf? Der mündige Patient? Der verordnende Arzt oder Abbott?
Außerdem halte ich es für wettbewerbswidrig. Was sagt denn der G-BA dazu?
Gut, ich hätte auch widersprechen können.
Hallo
War heute beim Internisten und habe von dem Verfahren gehört. Ich wollte bei Libre 2 bleiben. Hir habe ich 3 Möglichkeiten den Zucker zu messen Handy,Messgerät und Teststreifen. Sollte der Sensor mal ab gehen. Was schon häufig der Fall war. So könnte ich den Ausfall mit Teststreifen überbrücken. Bei Libre 3 bleibt mir nur das Handy. Jetzt waren die Vertreter mit ihrem Chef beim Dr. Weil es schon viele Beschwerden gab bei Libre 3 da es kein externes Lehsegerät dazu gibt und auch so nicht mit Teststreifen ausweichen zu können. Jetzt hat man versichert dies so schnell wie möglich nach zu bessern. So Mitte Ende Sommer. Wir werden sehen. Alleine das nur mit Handy gemessen werden soll finde ich schon fragwürdig und Fahrlässig. Fällt das Handy aus was dann? Das ganze war nicht bis zu Ende gedacht. Die sollten mal die Patienten fragen. Bevor man soviel Geld in den Sand setzt.
Hallo,
ich kann Herrn Barnowski nur recht geben. Es ist wichtig, den Blutzucker mit Notfall auch mit Teststreifen überprüfen zu können. Der Sensor braucht schließlich seine Zeit, bis er einsatzbereit ist. Das Lesegerät beim Libre 2 ist handlich und kann gut in der Hosen- oder Jackentasche verstaut werden. Für mich ist das wichtig, weil ich nicht immer mein Handy mitnehmen möchte. Das System Libre 3 finde ich auch nicht gut durchdacht. Das Lesegerät ist so groß wie ein Handy und der Blutzucker kann nicht mit Teststreifen gemessen werden.
Wird eigentlich kein Diabetiker an der Entwicklung neuer Systeme beteiligt?