Inzwischen gibt es für die Diabetestherapie eine Vielzahl von verschiedenen Medizinprodukten, die sich unter dem Begriff Diabetes-Technologie zusammenfassen lassen. Dazu gehören Blutzuckermessgeräte, Insulinpens und -pumpen, CGM-Systeme, AID-Systeme, etc. Der „eingeweihte“ Insider hat nun eine Vorstellung davon, welche dieser Geräte „gut“ sind; wobei die Einschätzung üblicherweise auf persönlicher Erfahrung, Rückmeldung von Kollegen, entsprechende Fachartikeln, Informationsmaterial der Hersteller etc. beruht. Für den Nicht-Insider jedoch gibt es im deutschsprachigen Raum keine bewertende Auflistung der verfügbaren Geräte. Warum eigentlich nicht?
Dies liegt unserer Einschätzung nach an einer Reihe von Gründen, denn für eine solche „Positivliste“ müsste eine Bewertung aufgrund klar nachvollziehbarer Kriterien erfolgen, um Ärzten, Diabetesberaterinnen und Patienten die Auswahl des jeweils geeigneten Gerätes zu erleichtern:
- Eine Positivliste beinhaltet per se eine erhebliche „Sprengkraft“. Wenn beispielsweise eine bestimmte Insulinpumpe an erster Stelle genannt würde, hätte dies vermutlich Einfluss auf das „Marktgeschehen“ und auf die Verkaufszahlen. Die Hersteller der Produkte würden möglicherweise versuchen, die Einordnung anzuzweifeln, auch unter Einsatz von juristischen Mitteln. Da solche Klagen gegen die Ersteller einer Positivliste diese auch privat belangen könnten, schreckt man davor zurück. Gerade im Diabetesbereich hat es hierzu entsprechende Erfahrungen in Deutschland gegeben und die Kosten für entsprechende juristische „Kämpfe“ können beachtlich sein. Allerdings hat es in anderen Fachbereichen (z.B. der Pulmologie) sehr wohl Fachgesellschaften gegeben, die trotz erheblicher Anfeindungen solche Positivlisten erstellt haben. Nach relativ kurzer Zeit haben sich diese etabliert und werden heute vielfach standardmäßig verwendet.
- Kritisch sind die Kriterien, die für die Einordnung verwendet werden. Wie die Erfahrungen z.B. der Stiftung Warentest zeigen, kann ein jedes Kriterium je nach Blickwinkel unterschiedlich in seiner Wertigkeit betrachtet werden. Eine Option könnte sein, dass sich eine unabhängige Fachgesellschaft (bzw. deren Organe) in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Parteien auf eine Kriterien-Liste verständigen würde, um das Vorgehen bei der Bewertung für alle transparent zu gestalten.
- Für die Einordung der Frage, ob ein bestimmtes Kriterium erfüllt wird oder nicht, ist eine bestimmte Datengrundlage notwendig. Wenn also die Messgüte eines Blutzuckermessgerätes beurteilt werden soll oder die Konstanz der Infusion von Insulin durch eine Insulinpumpe, müssen die Ergebnisse von entsprechenden Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden. Daten aus entsprechenden klinischen Studien sind aber in den Händen der Hersteller, sie brauchen diese Daten sie für die Erlangung einer CE-Markierung durch eine benannte Stelle. Dieser Prozess ist aber nicht transparent und die Daten sind nicht öffentlich zugänglich. Wenn die Daten nicht publiziert werden, gibt es keine Grundlage für die Bewertung im Rahmen einer Positivliste.
Da diese Studien von den Herstellern der Medizinprodukte finanziert werden, können diese Einfluss auf die Studien und die Publikation nehmen. Es gibt ja leider weltweit kein unabhängiges Institut, das systematisch solche Untersuchungen durchführt, die als Grundlage für die Erstellung einer Positivliste dienen könnte.
Bei Blutzuckermessgeräten hat es einige Ansätze gegeben, durch tabellarische Auflistung der Ergebnisse von verschiedenen Untersuchungen Hinweise auf z.B. die Messgüte verschiedener Messgeräte zu erhalten. Dabei wird wiederum in solchen zusammenfassenden Publikationen meistens keine klare Rangliste erstellt, wohl auch wegen drohender juristischer Probleme. - Bedingt durch die rasche Weiterentwicklung der Technologien, die bei den Produkten im Bereich Diabetes-Technologie eingesetzt werden, ist die Gefahr groß, dass eine Positivliste rasch veraltet bzw. dem aktuellen Stand hinterherläuft.
Wer also erstellt eine solche Liste und hält sie aktuell? Dies ist nicht nur eine Sisyphos-Aufgabe, die Pflege einer solchen Liste ist auch mit Kosten verbunden, auch wenn diese im Vergleich zu den Kosten, die Medizinprodukte für unser Gesundheitssystem darstellen, eher vernachlässigbar sein dürften.
Ein wenig überrascht in diesem Zusammenhang, warum die Krankenversicherungen nicht von sich aus eine Positivliste massiv unterstützen. Dies könnte nicht nur helfen, Geld zu sparen, sie könnten auch ihren Versicherten die bestmöglichen Medizinprodukte zur Verfügung stellen.
Fazit: Hier ist nicht die Stelle, alle Vor- und Nachteile einer Positivliste im Detail zu diskutieren, aber vielleicht können wir einen Impuls setzen, dies an geeigneter Stelle zu tun. Wie Beispiele aus anderen Indikationsgebieten zeigen, kann eine fachlich fundierte Positivliste im Sinne einer kosteneffizienten und guten Behandlung von Patienten mit Diabetes sehr hilfreich sein.
DiaTec weekly – Mai 15, 20
Es sei daran erinnert, dass für Arzneimittel im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) im ausgehenden letzten Jahrhundert immer wieder über eine sogenannte Positivliste diskutiert wurde. [In meinem Archiv findet sich die „Berliner Positivliste – Empfehlungen zum richtigen Arzneimittelgebrauch“ vom Juli 1995, zusammengestellt von Heinz Lüllmann und Lothar Flessau, Kiel, und herausgegeben von Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer Berlin.] Die Positivliste konnte sich allerdings nicht etablieren bzw. durchsetzen. Statt dessen sind andere Steuerungsinstrumente für den Arzneimittelmarkt geschaffen worden. Für den Bereich der Diabetes-Therapie scheint mir die Formulierung von Normen und Güte-Indikatoren jenseits des rein Technischen (z.B. Varianz des interstitiellen Glukosewertes) sinnvoll, auch für das „Zusammenspiel“ verschiedener Medizinprodukte in einem System (z.B. Sensor, Pumpe, Katheter). Die Hersteller der Medizinprodukte müssten dann garantieren, dass ihre Medizinprodukte diese Spezifikationen erfüllen, ohne dass Details der Daten offengelegt werden müssen. Aber möglicherweise gibt es das alles schon …