Telemedizinische Möglichkeiten wie die Videosprechstunde sind durch die Corona-Pandemie hochaktuell geworden. Sie haben bereits vor Corona regelmäßig Videosprechstunden für Ihre Patienten durchgeführt. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen – spart oder kostet die Videosprechstunde Zeit?
Anfangs ist der Zeitaufwand natürlich höher, da Patienten informiert, aufgeklärt, eingeführt und auch technisch angeleitet werden müssen (Stichworte Datenschutz, Digitalisierungskompetenzen). Bei wiederholten Konsultationen ist es effizient, konzentriert und zeitsparend- für beide Seiten: Patient und Arzt bzw. auch das Praxismanagement. Bei über 120 Patienten mit regelmäßigen Videosprechstunden-Terminen im Wechsel mit Präsenzterminen macht sich das deutlich bemerkbar.
Wie sieht es mit der Vergütung aus – gibt es Bewegung in den bislang starren und unflexiblen Abrechnungs-Modellen?
Nein, nicht wirklich! Nun, Selbstverständlichkeiten wie Arztgruppe und Indikation sind geklärt worden. Allerdings besteht dringender Nachbesserungsbedarf in folgenden Punkten:
- Es fehlt die Gleichstellung verschiedener GOP`s nebeneinander wie bei „physischem“ Arzt- Patient-Kontakt.
- Noch sind Technik- und Förderzuschlag budgetiert
- Es gibt keine Vergütung von cloudbasierten digitalen Daten, die mit Patienten gemeinsam betrachtet werden (siehe CGMS) und aus denen zeitgleich therapeutische Konsequenzen gezogen werden (Telemonitoring)
Ich verstehe absolut nicht, warum ein Abschlag von 20% der Leistungen erfolgt, wenn ein Patient „nur“ in einer Videosprechstunde im Quartal betreut werden kann.
Meines Erachtens ist es Aufgabe unseres Berufsverbandes, dafür zu streiten als immer wieder Mauern aufzubauen, wie es im Interview mit dem 1. Vorsitzenden
Dr. Nikolaus Scheper kürzlich herüberkam.
Was ist mit der telefonischen Beratung von Patienten – muss es immer Video sein?
Natürlich ist ein Kommunikationsmedium wie eben „audio-visuell“ deutlich der alleinigen Telefonberatung überlegen.
Es ist einfacher, sich ein Bild – im wahrsten Sinne des Wortes – vom Gesundheitszustand bzw. den Problemen des Patienten zu machen und ihn in seiner Komplexität zu begreifen. Unsichtbar am Telefon gelingt das nur wenigen…
Die Therapie von Diabetes mellitus wird gern als „Datenlastig“ bezeichnet. Sehen Sie deshalb besondere Vorteile für die Betreuung der Patienten, anders als bei anderen chronischen Erkrankungen beispielsweise?
Ja, mehr als in anderen Medizinbereichen – und das auch zahlenmäßig – werden Patienten von modernen Diabetestechnologien unterstützt. Hier gilt es gemeinsam mit dem Patienten Daten auszuwerten, Muster zu erkennen, zu erklären und Therapieempfehlungen zu geben oder im Sinne des Coachings zu wirken.
Und das geht im virtuellen Raum super!
Welche Technik brauchen Sie und was braucht der Patient und wie werden beispielsweise Befunde oder Fotos übermittelt?
Diese Dinge gelten für Beide:
- Hardware: Rechner mit Bildschirm, Tablet, Smartphone mit Kamera und Lautsprecher bzw. Mikro
- „Software“: Internetzugang (Festnetz/WLAN oder mobiles Netz) mit ausreichendem Datenvolumen; aktualisierter Browser
Videodienstanbieter arbeiten in der Regel webbasiert, d.h. keiner muss ein Programm herunterladen und installieren. Zuvor allerdings ist die Datenschutzerklärung (vom Videodienstanbieter hinterlegt) vom Patienten einzusehen und zu unterschreiben.
Für den Arzt gilt:
- Registrierung bei zertifiziertem Dienstleister – Erstellung von Benutzer- und Passwörtern
- Internetadresse und Einwahlcode stellt der Anbieter zur Verfügung
- Einwahldaten (TAN) werden vom Arzt an den Patienten weitergegeben (direkt, SMS, eMail)
- Die technische Abwicklung übernimmt der Videodienstanbieter
Die Dokumente wie Fotos und Dateien können hochgeladen und versandt werden (Extra-Verschlüsselung- unterschiedliche Wege je nach Anbieter) und auch weitere Personen können zum Chat eingeladen werden (1-3 je nach Anbieter)
Wird die Videosprechstunde nach der Corona-Pandemie wieder in der Versenkung verschwinden oder sehen Sie grundsätzlichen Bedarf für die Zukunft der Diabetes-Betreuung?
Keine Versenkung, weil unbedingter Bedarf! Infolge der Pandemie ist die psychologische Hemmschwelle für Telemedizinanwendungen deutlich herabgesetzt worden. Und ich hoffe doch sehr, auch die Überzeugung ist gewachsen, dass Telekonsultationen in Qualität und Expertise den vis-a-vis –Behandlungen ebenbürtig sein können.
Leider sind die maroden digitalen Voraussetzungen in Deutschland wie Netzanbindungen etc. nicht besser geworden. Im Gegenteil: Der plötzliche Ansturm auf Server, Home-Office mit Videokonferenzen, Webinaren und live streamings … haben vielerorts zu Verbindungsabbrüchen geführt. Das mag viele frustriert haben.
Doch ich denke, zum einen holt jetzt Deutschland hier auf und zum anderen ist das „Eis gebrochen“- 25.000 Ärzte/ Praxen bieten Videosprechstunden an.
Bei allen digitalen Hürden: die Vorteile liegen auf der Hand! Da gibt es keine echte Schubumkehr. Diese Entdeckungen machen doch Mut und geben mir Hoffnung für eine moderne zukünftige Diabetesbetreuung.
Dr. Karin Schlecht, Eisenach
DiaTec weekly – Mai 15, 20