Die „Medical Device Regulation“ (MDR) verschärft als neues Regelwerk die Voraussetzungen erheblich, die für die Erlangung einer medizinischen CE-Kennzeichnung notwendig sind und sie ist Voraussetzung, um in Europa auf den Markt kommen zu können. Eine ganze Reihe von Änderungen, die die MDR mit sich bringt, sind notwendig und deshalb auch klar zu begrüßen, darunter die Anforderungen an eine kontinuierlich fortzusetzende klinische Bewertung auch nach dem Inverkehrbringen. Alle Akteure sind sich einig, dass die Patientensicherheit Priorität hat und deshalb entsprechende Evaluierungen durchgeführt werden, bevor ihre innovativen Lösungen auf den Markt kommen. Aber mit der MDR kommen auch Anforderungen, die über die Sicherheit deutlich hinausgehen und die die Entwicklung innovativer Produkte für kleine und mittlere europäische Unternehmen wesentlich erschweren – was dazu führt, dass Patienten in Europa später oder gar nicht mehr Zugang zu innovativen Produkten erhalten.
Auf diese Problematik, die auch den Diabetes-Bereich betrifft, haben Marc Julien und Erik Huneker, die beiden Geschäftsführer von Diabeloop in einem offenen Brief hingewiesen, der u.A. in LinkedIn veröffentlich wurde, also einem Netzwerk von Führungskräften. Sie befürchten, dass die MDR die „Totenglocke für Innovationen in Europa“ bedeutet. Ihr Aufruf richtet sich an die Europäische Kommission. Diabeloop hat ja kürzlich begonnen, in Zusammenarbeit mit Roche Diabetes Care ein AID-System für Patienten mit Typ-1-Diabetes in Deutschland auf den Markt zu bringen. Dies belegt auch, dass es in Europa (hier Frankreich) noch möglich ist (vielleicht ist es besser zu sagen: war) innovative Medizinprodukte zu entwickeln. Konkret beziehen sie sich auf klinische Studien, die sie zum Einsatz ihres Systems in der Pädiatrie im Jahr 2019 durchgeführt haben. Der in diesem AID-System implementierte selbstlernende Algorithmus passt sich nach eigener Aussage an die Physiologie von Kindern, ihren Lebensstil und ihre Bedürfnisse gut an. Ihr Versuch, basierend auf dem positiven Ergebnis dieser Studien eine Erweiterung der Indikation für dieses AID-System (= Zulassung für die Nutzung auch bei Kindern) zu erhalten, wurde aber abgewiesen – mit Verweis auf die MDR. Als Begründung wurde genannt, dass sich die angesprochene „benannte Stelle“, die wohl Schwierigkeiten hat, die MDR umzusetzen, nicht in der Lage sah, den Antrag zu bewerten. Es ist aber auch nicht möglich, die benannte Stelle zu wechseln! Als Folge müssen nun von Typ-1-Diabetes betroffene Kinder und deren Familien weitere 18 Monate auf die Genehmigung des Antrags warten. Dies liegt daran, dass während des gesamten Zeitraums der Bewertung des Antrags durch die Kommission für die Notifizierung der CE-Kennzeichnung keine Verbesserungen an dem Algorithmus in dem AID-System vorgenommen werden dürfen. In Anbetracht des hohen Innovationstempos in diesem Bereich auf internationaler Ebene und in dem Wettbewerb mit AID-Systemen, die aus dem Ausland nach Europa kommen, stellt solch ein Stillstand ein Unding dar. Letztendlich hat dies reale Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten und damit das Gesundheitssystem, sowie auf die Wettbewerbsfähigkeit selbst stark entwickelter Innovationstreiber im Gesundheitssektor.
Fazit: Wenn alle Änderungen / Erweiterungen der CE-Markierung durch die MDR deutlich verkompliziert und erschwert werden, hat dies konkrete Auswirkungen. Wieder einmal zeigt Europa einen Mangel an Agilität. In den USA hat die amerikanische Aufsichtsbehörde die Risikoklasse für Medizinprodukte im Diabetesbereich herabgesetzt, während Europa sie erhöht wurde. In Europa werden die inkohärente Umsetzung und die Starrheit des neuen regulatorischen Rahmens den Marktzugang von Lösungen verzögern, die sicher sind und auf die Patienten warten. Diese Regelung ist nicht an die technologische Entwicklung des Marktes angepasst: Sie wird junge Unternehmen schwächen und Investitionen in Innovationen in Europa verhindern. Die Umsetzung der MDR in deutsches Recht stellt möglicherweise eine weitere Klippe für Unternehmen dar, die in Deutschland neue Medizinprodukte entwickeln wollen.
DiaTec weekly – Mai 28, 21
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